Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 27. April 2023 – 8 D 368/21.AK – zum Schadstoffabrieb von Windenergieanlagen

Ausgangspunkt für diese Entscheidung war das Vorgehen zweier Anwohner gegen eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb von zwei Windenergieanlagen. Neben der coronabedingten Durchführung einer Online-Konsultation, dem Fehlen einer vollständigen Umweltverträglichkeitsprüfung und einer fehlerhaften Lärmprognose machten die Kläger u.a. auch das Erodieren von Mikropartikeln und Giftstoffen in die Umgebung geltend. Hierdurch werde die Gesundheit beeinträchtigt und der Boden kontaminiert. Entsprechendes sei bei einer Havarie zu befürchten, in deren Fall eine Gefährdung durch Trümmerteile hinzukomme.

Die Klage auf Aufhebung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung hatte keinen Erfolg. Mit diesem Ergebnis setzte sich das OVG Nordrhein-Westfalen umfassend mit Fragen des Verwaltungsverfahrensrechts (Auslegung, Bestimmtheit, Online-Konsultation statt Erörterung) und des materiellen Umweltrechts auseinander. Die angefochtene Genehmigung war u.a. nicht materiell rechtswidrig, da den Klägern durch Errichtung und Betrieb der Windenergieanlagen keine Beeinträchtigung individualschützender Nachbarbelange durch Lärm oder Abrieb von Mikropartikeln oder Giftstoffen droht. Außerdem lag u.a. keine unzumutbare Beeinträchtigung durch eine Wertminderung der Grundstücke der Kläger oder Havarierisiken vor.

Mit Bezug auf die geltend gemachte Erosion von Schadstoffen führte das Gericht aus, dass hinsichtlich der durch die Kläger thematisierten PFAS und der chemischen Verbindung Bisphenol A (BPA) keine wissenschaftliche Erkenntnislage bestehe, die auf Gesundheitsgefahren oder eine Beeinträchtigung des klägerischen Eigentums durch Kontamination schließen lasse. Dies sei unabhängig von der Frage, ob diese Stoffe in den streitgegenständlichen Anlagen überhaupt enthalten seien.

Für den Einsatz von BPA sei bereits keine gesetzliche Regelung ersichtlich, die ein Verbot beinhalte. Aus Informationen des Umweltbundesamts (UBA) und der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) zu reproduktionstoxischen Eigenschaften und hormoneller Wirkung beim Menschen sowie der Aufnahme auf die Kandidatenliste der REACH-Verordnung ließe sich keine immissionsschutzrechtlich relevante anlagenbezogene Gefahrenlage durch die Erosion an Rotorblättern ableiten.

Für PFAS gelte im Ergebnis nichts anderes. Auch diese seien nicht generell verboten. Nachdem bereits einzelne Untergruppen einem Verbot oder Grenzwerten unterworfen worden seien, habe das UBA zwar aus Vorsorgegründen einen Vorschlag zur EU-weiten Beschränkung von PFAS bei der Europäischen Chemikalienagentur eingereicht. Welche Schäden die langlebigen PFAS in der Umwelt auf Dauer anrichten können, sei allerdings häufig noch unerforscht.

Eine belastbare wissenschaftliche Erkenntnislage, die in diesem Zusammenhang die konkrete Gefahr von Gesundheitsgefahren oder einer Beeinträchtigung des Eigentums durch Kontamination begründen könne, ergebe sich aus diesen zukunftsbezogenen politischen Absichten nicht.

Link zur Entscheidung

Im Anschluss an diese erstmalige Auseinandersetzung mit PFAS im Zusammenhang mit Nachbarklagen gegen Windenergieanlagen ergingen bislang u.a. folgende weitere Entscheidungen v.a. des OVG Nordrhein-Westfalen unter Bezugnahme auf seine vorstehend dargestellte Rechtsprechung:

Mit Beschluss vom 24. Juni 2024 – 7 B 27.23 hat das Bundesverwaltungsgericht eine Beschwerde der Kläger gegen das Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 27. April 2023 zurückgewiesen (Link zur Entscheidung).

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